Therapeutisches Reiten

Therapeutisches Reiten gliedert sich auf in die drei Bereiche:

1. Medizin
2. Pädagogik
3. Sport

Zu 1: Medizinischer Bereich = Hippotherapie (hippos=das Pferd)

Eine physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit bzw. auf dem Pferd mit der gezielten Einflußnahme auf das Nervensystem und auf die Motorik des zu behandelnden Menschen.

Zielgruppen sind Menschen mit Körperbehinderungen, hervorgerufen durch Schädigungen bei der Geburt; erworbene Behinderungen, z.B. durch MS oder Schlaganfall oder andere neurologische Erkrankungen; Entwicklungsverzögerungen bei Kindern.

Durchführung erfolgt durch Physiotherapeuten mit Zusatzlizenz.

 

Zu 2: Pädagogischer Bereich = Heilpädagogisches Reiten/Voltigieren

Eine Maßnahme bei der mit Hilfe des Pferdes als Medium die gesamte Persönlichkeit des Menschen versucht wird zu fördern. 

Zielgruppen sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit unterschiedlichen Problemen, wie Verhaltensauffällige, lern- oder geistigbehinderte oder psychisch kranke Menschen.

Durchführung erfolgt durch Pädagogen (Lehrer aller Schulformen, Sonder-, Heil- und Sozialpädagogen, Erzieher) oder Psychologen mit entsprechender Zusatzausbildung.

 

Zu 3: Sportiver Bereich = Reiten als Sport für Behinderte

Behinderte Menschen können unter bestimmten Voraussetzungen Reitsport betreiben. Sie benötigen evtl. bestimmte Hilfsmittel, z.B. Spezialsättel oder -Zügel und können dann das Pferd als Partner im Sport genauso "nutzen" wie Nichtbehinderte Menschen, denn es gibt ihnen beispielsweise vier gesunde Beine oder Augen, die sehen. Hier spielt auch der integrative Aspekt eine große Rolle.

Zielgruppe sind sinnesgeschädigte (Blinde, Taube), körper- oder geistigbehinderte Menschen.

Reiten als Sport für Behinderte wird auch als Leistungssport betrieben, d.h. diese Reiter können an Turnieren teilnehmen, gemeinsam mit Nichtbehinderten oder auch an speziellen Behindertenturnieren. Dressurreiten gibt es auch als Disziplin bei den Paralympics. Außerdem gibt es noch den Bereich des Fahrsports für Behinderte.

Durchführung erfolgt durch Reitausbilder mit entsprechender Zusatzqualifikation.

 

Wichtig ist die vor der Therapie durchzuführende ärztliche Untersuchung der Teilnehmer, egal an welchem Bereich sie teilnehmen möchten, denn es gibt durchaus Situationen oder auch Krankheitsbilder, die das Therapeutische Reiten ausschließen.

Die drei Bereiche Hippotherapie, Heilpädagogisches Reiten/Votigieren und Reiten als Sport für Behinderte lassen sich natürlich nicht immer trennen, es gibt oft Überschneidungen. 
Je nach Diagnose, Befund und Situation sollte dann eingeschätzt werden, welcher Bereich des Therapeutischen Reitens im Einzelfall angebracht ist.

 

Hippotherapie

Die Hippotherapie ist eine vom Arzt verordnete krankengymnastische Behandlungsmaßnahme.
Das Pferd dient hierbei als Medium der Bewegungsübertragung.

Durch die spezielle Schrittfolge des Pferdes bewegt sich der Rücken des Pferdes im Schritt dreidimensional; d.h. vor und zurück, rauf und runter und rechts und links.

Die Bewegung des Pferderückens überträgt sich auf den Patienten, der auf die Impulse unwillkürlich mit seinem Stütz- und Bewegungsapparat antwortet.

Ein Mensch mit gestörter Motorik bekommt vom Pferd "physiologische" , d.h. gesunde Impulse und paßt sich mit seinen Bewegungen automatisch dem Pferd an.
Der in seinem Bewegungsablauf gestörte Mensch bekommt also vom Pferd Impulse als ob er gehen würde.
Ein Großpferd entsendet 90-110 Schwingungsimpulse pro Minute, die während der ganzen Therapie auf den Patienten einwirken.
Zwangsläufig muß er sie wahrnehmen, übernehmen und ausgleichen und versuchen sich auszubalancieren.
Mit keiner anderen physiotherapeutischen Technik kann man so regelmäßige Impulse über einen Zeitraum von 20-25 Minuten in einer Vorwärtsbewegung stimulieren, wie bei der Hippotherapie.

 

Wirkung

Die dreidimensionalen Schwingungsimpulse werden vom Becken des Patienten aufgenommen und in die Wirbelsäule weitergeleitet. 
Dies bewirkt eine Lockerung des Beckens, dadurch eine Aufrichtung des Oberkörpers und ein Einstellen des Kopfes auf die Bewegung.
So haben wir ein Training der Rumpfmuskulatur und eine Stimulation der Kopfkontrolle und hiermit eine wichtige Voraussetzung für das Erlernen des Gehens.
Der Körper des Patienten muß sich ständig neu an die Pferdebewegung anpassen. Er erfährt eine gleichmäßige, rhythmische Vorwärtsbewegung.
Diese hat auch positiven Einfluß auf die Regulation des Muskeltonus (=Spannungszustand): spastische, verspannte Muskulatur wird gelockert; schlaffe, schwache Muskulatur wird zum Anspannen stimuliert. Gerade bei Patienten mit spastischen Diplegien oder Tetraspastiken treten diese Symptome meistens gemeinsam auf: eine spastische untere Extremität mit einem schwachen, hypotonen Oberkörper. Auf dem Pferd kann man beides gleichzeitig positiv beeinflussen. 
Der gespreizte Sitz und die Wärme des Pferdes bewirken auch eine Spastik-minderung der Beine. 
Das Gleichgewicht und die Koordination werden durch den Anpassungsprozeß an die Pferdebewegung ständig angeregt.
Weiterhin positiv beeinflusst werden Körperbewußtsein, Tiefensensibilität, taktile Wahrnehmung, Raum-Lage-Bewußtsein, Reaktionsfähigkeit, Bewegungsplanung, Atmung und Sprache.
Aus diesen vielen Punkten ergibt sich ein ganzheitlicher Ansatz der Therapie, da auf den ganzen Menschen Einfluß genommen werden kann.
Die für den einzelnen Patienten wichtigen Ziele muß man aus dem individuellen Befund herauslesen.

 

Indikationen

-Neurologische Bewegungsstörungen bei Kindern und Erwachsenen:

- frühkindlicher Hirnschaden
- Z.n. Schädelhirntrauma
- Multiple Sklerose
- Z.n. Schlaganfall

- In Einzelfällen Haltungsschwächen, Wirbelsäulenfehlhaltungen

- Entwicklungsverzögerungen

- Andere Nervenerkrankungen

Die Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Behandlung und daher vom Arzt zu verordnen. Leider steht die Hippotherapie seit Neuestem auf der Negativliste der zu verordnenden Behandlungsmaßnahmen, d.h. die Krankenkassen bezahlen die Behandlung nicht mehr, was früher in Einzelfallentscheidungen möglich war.

 

Kontraindikationen

- akute entzündliche Prozesse
- Schub bei Multipler Sklerose
- Zu starke Spastik der Beine 
- Hüftluxationen oder andere Hüfterkrankungen
- Nicht eingestellte Anfallsleiden
- Pferdehaarallergie
- Angst vor Tieren

 

Durchführung

Die Hippotherapie ist immer eine Einzelbehandlung, pro Patient gibt es also einen Therapeuten, ein Pferd und einen Helfer, der das Pferd führt.
Der Therapeut sichert den Patienten, in dem er direkt neben ihm hergeht um ihn zur Not festhalten zu können oder er sitzt mit auf dem Pferd, wenn der Patient nicht alleine sitzen kann.
Das Pferd geht in der Hippotherapie immer im Schritt.
Die Therapieeinheit dauert 20-25 Minuten und wird 1 Mal pro Woche durchgeführt.
Sie ist eine zusätzliche Therapie zur herkömmlichen Physiotherapie.

Als Ausrüstung benötigt das Pferd eine Trense, Decke und Gurt oder Sattel.
Das Pferd geht am Langzügel, an der Longe oder wird geführt.
Um Patienten aus dem Rollstuhl auf das Pferd zu bekommen benötigt man eine Aufstiegshilfe (Rampe).

 

Das Therapiepferd

Das Pferd an sich ist ein Herdentier und ein Fluchttier. Als Haustier genutzt, hat es sich an die Nähe des Menschen gewöhnt und akzeptiert ihn als Teil seiner Herde. 
Dass sich Menschen auf Pferderücken setzen können, spiegelt das Vertrauen wieder, das Pferde zum Menschen im Laufe ihrer Ausbildung entwickeln, denn der Fluchtinstinkt vor dem Raubtier, das auf den Rücken springt um das Pferd zu töten wird hierbei außer Kraft gesetzt. 
Pferde sind von Natur aus nicht aggressiv, sie laufen vor der Gefahr davon und wehren sich erst, wenn sie in die Enge getrieben werden und Panik bekommen. 

Das Therapiepferd erhält zuerst eine allgemeine Grundausbildung, die alle Reitpferde durchlaufen, d.h. einen Menschen in allen drei Gangarten (Schritt, Trab, Galopp) zu tragen , seinen Befehlen zu gehorchen und sich lenken zu lassen.
Das Pferd lernt hierbei auch dem Menschen zu vertrauen und erwartet nichts Böses von ihm. Daher begegnet es dem Menschen immer wieder in der gleichen ehrlichen Art und Weise.

Werden Pferde artgerecht gehalten, d.h. sie bekommen genügend Bewegung, genügend Futter und genügend Kontakt zu Artgenossen, hat man schon einmal die Grundlage für ein ausgeglichenes, ruhiges Therapiepferd geschaffen.
Boxenhaltung ist nicht artgerecht, Pferde müssen sich einige Stunden am Tag auf der Weide oder einem Platz frei bewegen dürfen, denn von Natur aus sind sie Steppentiere, die den Hauptteil des Tages und auch der Nacht damit verbringen Nahrung aufzunehmen und langsam weiterzuziehen. Sie 22 Stunden am Tag alleine in eine kleine Box zu sperren ist Tierquälerei.

Neben der Arbeit in der Therapie müssen die Pferde einen Ausgleich haben und mit anderen Pferden im Gelände, der Halle oder auf dem Platz geritten werden.
Das ist auch für die Muskulatur des Pferdes sehr wichtig, denn der Pferderücken muß entsprechend trainiert werden, bevor der Mensch sich ohne Folgeschäden für das Pferd auf seinen Rücken setzen kann.

Sind diese Voraussetzungen geschaffen kann man ein ausgeglichenes Pferd an viele Dinge gewöhnen, z.B. Rollstühle, Aufstiegsrampen, schreiende Kinder, ungewöhnliche Laute, festklemmende Beine durch Spastik, unbequeme Reiter.

Die Rasse des Pferdes ist dabei nicht wichtig.
Optimalerweise sollte das Therapiepferd nicht größer als 1,60 m sein, damit man noch bequem von unten den Patienten sichern kann.
Bei Kindern sollten entsprechend kleinere Pferde oder Ponys zum Einsatz kommen.
Die Körpergröße des Pferdes sollte immer auf den Patienten abgestimmt sein, daher ist es von Vorteil mehrere Pferde zur Verfügung zu haben.

Es obliegt der jeweiligen Erfahrung des Therapeuten zu beurteilen, welches Pferd sich für die Therapie eignet und welches nicht.

Ein gut ausgebildetes Therapiepferd strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, begegnet dem Menschen stets gleich freundlich, läßt sich gut reiten und hat einen für die Hippotherapie wichtigen fleißigen, gleichmäßigen Schritt.
Durch die gute Ausbildung läßt sich das Risiko, das durch die Fluchtinstinkte des Pferdes vorhanden ist - sich vor außergewöhnlichen, gefährlich scheinenden Dingen zu erschrecken und davonzulaufen- , sehr verringern.

Die Therapieerfolge der Hippotherapie sind wissenschaftlich belegt.
Wir können keine Wunder vollbringen, aber lindern, Entwicklung fördern, einen Status erhalten, Therapiemüdigkeit überwinden, Vertrauen stärken, motivieren und neue Lebensfreude schenken.

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Weitere Informationen unter:
www.dkthr.de - Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten, Warendorf
www.rtz-weisser-bogen.de - Reit-Therapie-Zentrum Weisser Bogen e.V. in Köln-Weiß